Charlys kleine Besonderheit

Wie bereits erzählt, wurde uns im Kreissaal ziemlich Panik gemacht, wegen einer Unregelmäßigkeit an Charlys Hals. Diese Mutation, wie es die Ärztin nannte, führte erst zum Kaiserschnitt und dazu, dass unsere Tochter ihre erste Nacht auf der Welt alleine auf der Intensivstation verbringen musste.

Zu diesem Zeitpunkt wussten wir dann, dass an Charlys Hals eine Blase ist, die mit irgendeiner Flüssigkeit gefüllt ist. Man erklärte es uns wie eine Art Zyste, die dort abgekapselt am Hals liegt.

Nachdem die Kinderchirurgen am nächsten Tag noch einmal drüber geschaut hatten, kamen sie zu Stephie und erklärten, dass es sich um ein Lymphangiom handele. Das ist eine gutartige Mutation der Lymphgefäße. Charly hätte keine Einschränkungen dadurch und sei sonst vollkommen gesund. Mit etwa 6 Monaten könne man diese Blase dann entfernen. Gute Nachrichten! Sehr gute. Charly ist gesund.

Was uns aber unglaublich verunsicherte, war was uns Freunde und Familie dazu erzählten. Natürlich hat jeder gegoogelt und irgendeinen Arzt dazu befragt. Und von dem Verdacht auf Down Syndrom, bis zu nächtlichem Ersticken war alles dabei. Die ersten Tage waren also nicht gerade leicht. Wir befragten nochmal unseren Kinderarzt und Stephies Hebamme, die uns jedoch unsere Angst nahmen. Wir brauchen uns keine Sorgen um unsere Tochter zu machen.

Trotzdem musste das Angiom weiter beobachtet werden, denn es bestand die Möglichkeit, dass es sich weiter füllen und Charly in ihrer Bewegung beeinträchtigen könnte. Deshalb waren wir im ersten Monat alle 2 Wochen, dann alle 4 Wochen zur Kontrolle in der Kinderchirurgie. Eigentlich sollte das Wachstum beobachtet werden, doch wir wurden jedes Mal von jemand anderem empfangen und bei jedem Besuch dachte man, das wäre unser erster. Einmal fragte eine Ärztin sogar, ob unsere Töchter Zwillinge wären, obwohl Gwenny doppelt so groß und dreimal so schwer wie ihre Schwester durchs Behandlungszimmer tobte – die einzig richtige Antwort wäre eigentlich eine Gegenfrage gewesen: „Wo haben Sie Ihren Titel gewonnen Frau Doktor?“.

Nachdem wir beim 4. Besuch vom Oberarzt wieder behandelt wurden, als wären wir zum ersten Mal vorstellig geworden, haben wir uns dazu entschieden, dort nicht mehr hinzugehen.

Bis dahin wussten wir ziemlich genau – schließlich wurden wir bereits 5 Mal wie Unwissende behandelt – dass es mehrere Möglichkeiten des Verlaufes und der Behandlung gab.

Das Angiom könnte mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit von selbst zurück gehen, einfach so bleiben oder mit Charly mitwachsen.

Zur Behandlung gibt es wohl zwei Möglichkeiten, von der eine für uns nicht in Frage kommt. Nachdem ich einige Erfahrungsberichte gelesen hatte, entschieden wir uns gegen einen operativen Eingriff, bei dem die Blase entfernt werden soll. In den meisten Fällen schaffen die Ärzte es nämlich nicht, jede Verzweigung des Gewebes zu entfernen und so füllt sich nach der Operation ein bis dahin unerkannter Teil der Mutation und alles war umsonst. Außerdem laufen am Hals ziemlich viele Nerven, die durch die Operation verletzt werden könnten.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, eine Art Streptokokenerreger in die Blase zu spritzen. Die Außenhaut würde sich dadurch entzünden und austrocknen, so dass die Blase zusammenschrumpelt wie ein Luftballon, bis die sich verklebt und nicht mehr zu erkennen ist. Die Erfolgswahrscheinlichkeit wurde uns mit 85% benannt und sollte es beim ersten Mal nicht gleich verschwinden, könne man diese Behandlung beliebig oft wiederholen.

In der ersten Klinik wollte man Charly schon mit 6 Monaten behandeln.

Der Spezialist, zu dem wir zwischenzeitlich gefahren sind, ist da anderer Meinung. Auf die Frage, wie viele Angiome er schon behandelt hatte meinte er: „so genau kann ich Ihnen das gar nicht sagen. Ich mache seit 15 Jahren nichts anderes, irgendwann habe ich aufgehört zu zählen!“ Sehr beruhigend. Oberarzt Nummer 1 wusste ganz genau, dass er in seiner Karriere ca. 70 Patienten hatte.

Der Spezialist beruhigte uns weiter. Sollte sich die Blase so prall füllen, dass wir der Meinung sind, Charly hätte Probleme sich zu bewegen, könnte man sie punktieren und Flüssigkeit entnehmen, um sie zu entlasten. Das hätte zwar nur einen temporären Effekt, wäre aber möglich. Dass die Speise- und/oder Luftröhre dadurch verengt werden könnte, ist allerdings ausgeschlossen.

Dieser Arzt möchte Charly aber nicht behandeln, bevor sie nicht ein Jahr ist. Schließlich besteht kein Grund zur Eile.

Er meinte, dass man im Ultraschall nie alle Gefäße sehen könne. Deshalb macht er vor der Behandlung ein MRT, um den Verlauf der Nerven und Adern genau zu kennen. Da Babys und Kleinkinder aber nicht so still liegen bleiben, müsste das unter Narkose gemacht werden. Also verschieben wir alles etwas nach hinten.


Ich wurde oft gefragt, warum ich erst jetzt darüber schreibe. Eine Geburt ist ein so einschneidendes Ereignis, dass man sie erst einmal verarbeiten muss. Da stimmen mir die Mütter unter euch sicher zu. Für Stephie und mich kamen diese Gefühlsachterbahn wegen des Kaiserschnitts und das Angiom zusätzlich dazu und das musste ich selbst erst einmal verarbeiten. Anfangs habe ich auf Fotos auch noch versucht das Angiom zu verstecken. Beim Newbornshooting haben wir sie nur so fotografiert, dass es überhaupt nicht zu sehen war.

Ich dachte, es wäre ja sowieso bald weg und je nachdem, wie sie lag, fiel es sowieso nicht auf.

Vielleicht versteckte ich es auch, weil ich die Reaktionen der Menschen fürchtete. Charly bekommt das ja nicht mit, aber diese mitleidigen Blicke und Worte – wir bekamen sogar mal ein „Oh Gott!“ zu hören, als jemand Charly zum ersten Mal sah – tun schon weh. Man will ja nur das Beste für seine Kinder.
Doch jetzt schäme ich mich dafür, so damit umgegangen zu sein.
Wir können uns Charly gar nicht mehr ohne Angiom vorstellen und überlegen, sie vielleicht gar nicht behandeln zu lassen. Allerdings möchte ich sie gerne vor Mobbing schützen. Menschen können nämlich, wenn man nicht der „Norm“ entspricht echt grausam sein – ich bin auch nicht 08/15 und werde ständig in Schubladen gesteckt. Obwohl die Kinder, die bis jetzt mit Charly zu tun hatten, sehr offen und liebevoll damit umgingen. Sei es unser Patenkind, Nio, Elijah, Konrad etc. alle fragten ganz unschuldig was das ist, ob es weh tut und ob man es anfassen darf.

Wir haben uns also noch gar nicht endgültig entschieden, wie wir weiter vorgehen. Aber wir haben ja auch noch viel Zeit. Mittlerweile zeichnen sich Charlys Gesichtszüge darüber auch schon deutlich ab, das heißt, sie wächst, das Angiom nicht. Wer weiß, vielleicht wird es im Vergleich zu ihrem Gesicht so unscheinbar, dass es gar nicht mehr auffällt. Ihre großen Augen und ihr Grinsen fesseln mich jeden Tag, wahrscheinlich können Fremde irgendwann auch nirgends anders mehr hinschauen und realisieren, dass sie genau so hübsch ist, wie ihre große Schwester.

Jedenfalls habe ich mit der Zeit gemerkt, wie gut es tut, davon zu erzählen. Vom hin und her mit den Ärzten, der Angst um Charly, den verschiedenen Aussagen zum Angiom, den Blicken der anderen, usw. Mit jedem Mal fiel es mir leichter. Ich weiß, andere trifft das Schicksal viel härter, aber auch diese „Kleinigkeit“ brauchte ihre Zeit, bis ich sie verarbeitet hatte.

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7 Gedanken zu “Charlys kleine Besonderheit

  1. Ihr habt absolut richtig gehandelt 😀 Ein wunderbarer Bericht. Ich kann das so nachvollziehen! Die Verunsicherung und den Ärger den man mit so einem ärztlichen Rumgereiche hat.
    Meine Gwendolyn kam mit Klumpfüssen zur Welt, wir haben uns einen Spezialisten gesucht der sich Zeit für uns Eltern genommen hat.
    Er sagte:“ Sie als Eltern müssen die Behandlung verstehen und dahinter stehen, ihr Kind wird es nicht anders kennen.“ Und so ist es doch!
    Charly kennt es nicht anders, es stört sie ja auch nicht.
    Ihr werdet genau das richtige für sie tun und entscheiden.
    Liebe Grüße

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  2. Ihr habt 2 ganz süße Kinder! (Leider sieht man sie ja net ganz – was i aber verstehe)
    Ich kann auch zu 1000% den Ärger über die dummen Sprüche/Blicke verstehen… Kinder sind da offener u gehen ganz anders mit d. Thematik um! Seh ich bei meinen eigenen 💚
    Ihr werdet für euch, FÜR Charly die richtige Entscheidung treffen!

    Alles Liebe!
    Grüße aus NÖ

    Lg Lisa

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  3. Liebe Stephie, Lieber Georg,

    Ich verfolge diesen Blog als auch die Instagram Seite sehr interessiert und erzähle meinen Mann viel über euren Alltag. Wir kommen ebenfalls ganz aus der Gegend (Nähe Mainz) und haben zwei Töchter (12/15 und 05/17). Genau wegen diesen Paralellen bin ich so gespannt was ihr immer neues erlebt – und es inspiriert mich manchmal sogar für unseren. (Ausflug Flughafen zB).
    Als 2-fach Mama mit einem Baby von 3 Monaten (wir haben selber mit 5 Wochen eine Woche in der Uniklinik gelegen wegen einem Mini Eingriff) kann ich also fast beinahe jedes Wort diesen Beitrag 100% nachfühlen.

    Ich finde euren Weg perfekt wie er ist… auch wenn er sich wöchentlich immer ändern würde. Jedes Gefühl dazu hat seine Berechtigung und oftmals muss man seinen Gedanken erstmal Zeit geben während der Alltag ja trotzdem an einem vorbei rast mit einer 1,5 jährigen im Haus…

    Den Text zu diesem Thema hast du – wie ich finde – sehr authentisch verfasst. Nur ein echter Mann/Papa kann so schreiben und fühlen!

    Ich drücke euch unbekannter Weise ganz lieb*

    Lieben Gruß, Grit

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  4. Ihr Lieben,
    wie immer ein toll geschriebener Bericht.
    Ich denke darüber, man sagt immer „Hauptsache gesund“ und das ist eure Charly doch!!! Und ein weiterer Alltagssatz lautet doch „Durch Kinderaugen sehen und die Welt entdecken“ ich denke dass wir Erwachsenen uns da ein Beispiel an den Kinder nehmen sollten. Auf jeden Fall wünsche ich eurer Tochter einen wundervollen weiteren Lebensweg und ganz wenig Begegnungen mit solch blöden Menschen.

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  5. Sehr schön geschrieben und so ehrlich !!
    Ich muss gestehen, ich würde auch schauen nicht angewiedert um gottes Willen ich bin Erzieherin aber aus reiner Neugier ! Mich interessieren die Geschichten der Menschen ! Und ich bin froh das du das hier so offen preis gibst!
    Es gibt nur wirklich leider viel zu viele die einfach respektlos sind und tuscheln und nicht mehr aufhören zu schauen !
    Macht weiter so und ärgert euch nicht über Menschen die schauen
    Bei manchen ist es reine Neugier bei manchen nicht
    Aber sich über fremde zu ärgern kostet viel zu viel Kraft die ihr euch für andere Dinge im Leben nehmen könnt!

    Liebe Grüße aus den schönen Hamburg
    OoPamolaoO

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  6. Vielen Dank, dass Du Euer Leben in allen Facetten mit uns teilst. Besonderheiten sind oft schwer von Leuten zu akzeptieren. Ob sehr groß oder klein, dick oder dünn, ob mit Brille, unterschiedlichen Augenfarben, wilden Locken oder Zahnlücke… ach es gibt so viele Dinge, die den Menschen einzigartig machen und vielleicht auch manchmal einfach anders sind, aber wäre das Leben und die Welt nicht langweilig, wenn alle gleich wären!? Ich verstehe Eure Sorgen, was Hänseleien angeht, aber ich weiß auch, dass Ihr sie charakterlich stärken werdet und Ihr genug Rückrad gebt, damit sie böse Blicke und Kommentare weglächeln kann und alle Herzen im Sturm erobern wird!

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